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11.10.06    22:53     2 Kommentar(e)

ent:Schleunigung (1) - Der Positiv

Es geschah mir kürzlich, dass ich ein frischgewaschenes Hemd ausschlug und aufhing. Das ist nicht weiter selten oder gar erwähnenswert, doch dieses eine Mal war anders. Eh' ich mich's versah, versank ich in einer abrupten Art persönlicher Weh- und gesellschaftlichen Unmuts. Ich suchte und fand den Quell des Verdrusses, der, wie so oft, für sich betrachtet ein doch recht schöner Umstand war.
Festgehalten hatte mich der Aufdruck des Bügels. «JOBA. Gute Herrenbekleidung", stand da. Nun weiß ich nichts über die Firma JOBA, geschweige denn besitze ich eines ihrer Produkte. Die Aussage in ihrer Schlichtheit multiplizierte sich in mir. Wie in sich schön und schlüssig ist doch dieser Zusatz: Die Aussage, die Erzeugnisse seien «gut», entbehrt schlicht jeglichen Vergleichs, versucht eben nicht, sich über ein bestimmtes Konkurrenzprodukt oder den ganzen Markt im Allgemeinen zu erheben. Ganz bescheiden und wertungsfrei nennt es sich «gut» und wird dadurch umso glaubhafter. Schon imposant zu merken, wie der Gebrauch eines simplen Positivs weitaus anziehender wirken kann, als der uns stets umgebende ewige Komperativ oder der scheinbar einzig geforderte Superlativ!
Es mag das Geheule gegen das Höherschnellerweiter schon alt sein und in manchem Ohr für Eiter gesorgt haben; erstaunlich fand ich aber die situative Wirkung des «gut»: Eine großelterliche Wärme machte sich breit, eine Geborgenheit wie vom Geruch des grünen Samtsofas.
Doch lang blieb sie nicht. Die Wohligkeit verflog und es gelang ihr Kontrast die Oberhand: Eine Abscheu gegen den allgegenwärtige Komparativismus. Ist es denn existenziell notwendig, dass der Mensch alles und jeden vergleicht? Ist das die hier und jetzt adäquate Form der Reflektion? Sind wir schon soweit gekommen, dass Unzufriedenheit, denn nichts Anderes erwächst dem Vergleich, unser einziger Antrieb sein soll?

Jegliches braucht seine Zeit. Jegliches kostet sein Geld. Plaste ist Plaste und Holz ist Holz.

Bin ich denn reaktionär, wenn ich meine Schuhe von einem Menschen reparieren lassen möchte, der dies schon seit Leben lang tut? Oder meine Messer und Scheren von einem schleifen lassen, der nicht auch gleichzeitig für sich in Anspruch nimmt, sich prima mit Schlössern und Schlüsseln auszukennen und auch gleich meine Hose nähen, mein Hemd bügeln «kann»?
Verschließe ich meine Augen vor den Zeichen der Zeit, wenn ich gerne Tonträger in einem Tonträgerfachgeschäft kaufen möchte? Oder wenn ich es mag, dass ein Buchladen nach alten Büchern und nicht nach neuer Auslegware riecht? Darf ich dieser Tage noch wünschen, dass jemand mit mir kommuniziert und mir sagen kann «Hey, wenn du die Platte magst - hör dir doch mal diese hier an!» Nein, darf ich nicht, denn da hat schon jemand ein Programm für geschrieben, das einer Seite im Netz zugrunde liegt und sogar 24 Stunden täglich für mich da ist.
Doch ich bin ein Mensch, der gerne ein Gesicht, eine Schwäche und eine Vorliebe hat. Ich bin keine IP, Adresse, Kunden- oder Kontonummer.

Jegliches braucht seine Zeit. Jegliches kostet sein Geld. Plaste ist Plaste und Holz ist Holz.

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2 Kommentar(e):

Anonymous Anonym  meint...

Sehr guter Beitrag - da hat mir jemand aus der Seele gesprochen.

16/10/06 19:41  
 
Anonymous Anonym  meint...

Bei der Suche nach einer Information zur Firma "Joba - Gute Herrenbekleidung", deren Namen ich soeben auf einem alten weißen Kunststoffkleiderbügel fand und der mich neugierig machte, fand ich Ihre Seite und Ihren Beitrag. Vielen Dank dafür! Haben Sie denn noch etwas über diese Firma herausfinden können? Mich würde das Alter des Bügels interessieren.

27/3/20 12:43  
 

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