21.8.07 17:16 3 Kommentar(e)
ent:Schleunigung (2) - Die Entleisung
Während die einen sich wundern, woher bloß all jene Menschen kommen, die das dringende Bedürfnis zu haben scheinen, sich von unangenehmen Mitmenschen vor laufenden Kameras entwürdigende Angriffe ins Gesicht schleudern zu lassen, nehmen andere solcherlei Einladung zum Schaudern dankend an. Was ist aber als verwerflicher einzustufen: Sein letztes Fünkchen Selbstachtung für die zu oft herbeizitierten 15 Minuten Ruhm und bestenfalls ein paar hundert Euro zu prostituieren und dies als Statement öffentlich zu transportieren – oder sich im Schutz der heimeligen Kissenburg am Unbill Anderer zu ergötzen, Demütigung lachend hinzunehmen und ein ganz klein wenig schaudern bei der Frage, wie man sich selbst dabei wohl fühlen würde?
Wohl unabsichtlich nannte die sueddeutsche.de den neuesten Tiefschlag der Fernsehproduzenten eine «Entleisung», doch drückt sie damit ziemlich gut aus, was das Unschöne an jener kunterbunten Selbsthass-Mode ist: Sie wird immer lauter, aufdringlicher, gegenwärtiger. Latürnich sind Menschen keine Engel, sie trachten oft nach Selbsterhöhung und Macht über andere, das lässt sich kaum ändern. Aber dass dies eine derartige gesellschaftliche Legitimation erfährt, lässt mein Schaudern nahtlos in einen gehörigen Ekel reifen. Mit ein bisschen Geschick lenkt man diese Gefühlswallung in Richtung Zorn und erlangt so eventuell die Möglichkeit, sie konstruktiv zu nutzen.
Wie? Vorschläge sind erbeten.
Es sollten junge Menschen vielmehr medienübergreifend zu einer Leisung eingeladen werden, zu einem Lauschen zwischen den eigenen zwei Ohren und in den Wind, in das Knistern zwischen gedachten Zeilen und einander gegenübersitzenden Menschen. Beschreiben Sie bitte das Geräusch, das eine Möhre beim Wachsen macht! Stellen Sie sich vor eine Kamera und erklären Sie die Unterschiede des Aneinanderraschelns von Hosenbeinen aus diversen Stoffen! Halt einfach mal die Luft an und hör hin, ob Dein Herz noch schlägt! Alles schön.
Gewisse Sachen aber gehören sich einfach nicht und schon gar nicht in die Öffentlichkeit.
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